Unsere neue Nachbarschaft – Ein Angeber-Artikel

Jahrhundertelang verdrillten in unserer unmittelbareren Nachbarschaft die Reepschläger entlang ewig langer Bahnen Seile zu dicken Schiffstauen, gaben damit irgendwann der Reeperbahn ihren Namen und sind unserer Entwicklungsabteilung auch heute noch ein großes Vorbild bei der Erstellung undurchsichtigen Spaghetti-Codes.

Trosse
16 inch Tauwerk

Und während unser Sales-Department sich schon die Hände reibt – lässt sich doch jeden Sonntag in aller Herrgottsfrühe auf dem großen Fischmarkt direkt um die Ecke mit Sicherheit der ein oder andere Dicke Fisch an Land ziehen – freuen sich die Herren Systemadministratoren darüber, dass mit dem Bernhard-Nocht Institut für Tropenmedizin ein seit über 100 Jahren international führendes Institut zur Virenabwehr direkt gegenüber ansässig ist.

Im Allgemeinen

Aber mal im Ernst: Das Umfeld unseres neuen Standorts mitten in St. Paul ist nicht nur kulturhistorisch ein schwer bedeutsames Terrain. Auch die Neuzeit hat hier spektakuläre Geschichten zu erzählen. Da wäre als erstes natürlich das Auf und Ab der Reeperbahn als Musik- und Vergnügungsviertel. Die Liste der Stars, die von hier aus groß durchgestartet sind, ist lang und hinlänglich bekannt: Die Beatles, Hans Albers, Freddy Quinn oder als neueres Beispiel der Rapper Nate57 sind nur einige Beispiele von Persönlichkeiten, deren Laufbahn eng mit der Reeperbahn und St. Pauli verknüpft ist.

Freddy Quinn in der Markthalle
Freddy Quinn in der Markthalle.
Photo: Heinrich Klaffs

Auch wirtschaftlich ging es in den letzten hundert Jahren in St. Pauli auf und ab. Wenn man ehrlich ist, ging es eigentlich lange Zeit nur bergab. Doch seit einigen Umstrukturierungen in den 90ern, die den Stadtteil für Dienstleister interessant machten, ist man auf einem gutem Weg zum angesagten Lifestyle Stadtteil – was nicht unbedingt im Interesse aller St. Pauli Bewohner ist: die eh schon hohen Mieten in Hamburg steigen durch den Image-Gewinn von St. Pauli noch einmal kräftig an.

Da trifft es sich, dass unser neues Headquarter mit allen S- und U-Bahnen und damit für alle Mitarbeiter auch aus entferneteren Stadteilen Hamburgs gut zu erreichen ist. Nur ein schöner Zufall ist es selbstverständlich, dass sich der Standort unserer neuen Firmenheimat direkt auf dem ehemaligen Betriebsgelände der Astra-Brauerei befindet. Es wäre ja wohl auch verrückt, wenn wir unsere neue Firmenadresse nach solchen Kriterien aussuchen würden!

Auch dass wir auf keinen Fall in das Gebäude  am 300 Meter entfernten Millerntorplatz ziehen wollten, in welchem der ehemalige Welt-Internetanbieter AOL ab dem Höhepunkt der Dot-Com Blase seinem langsamen Untergang entgegen taumelte, ist nur ein Gerücht.

Hamburger Fischmarkt
Der Hamburger Fischmarkt

Wenn man aber schon von der jüngeren Vergangenheit St. Paulis spricht, sind natürlich die zähen Kämpfe um die besetzten Häuser in der Hafenstraße zu erwähnen. Dort traf sich in den Achtzigern alles was eine Polizeiuniform trug oder sich als “Autonomer” bezeichnete und man gab sich Saures. Und obwohl es hier schon seit langem ziemlich ruhig ist und man zur WM auch mal Transparente gegen den Lärm der Fußballfans aus den Fenstern hängt oder sich für den Erhalt der bezahlten Hausmeister-Stelle stark macht (Ein “Hausmeister muss bleiben!”-Graffiti war jahrelang von weither zu sehen), ist die Hafenstraße und Umgebung auch heute noch ein Ort an dem der Widerstand so latent vor sich hinbrodelt, wie eine gute Fischsuppe im altehrwürdigen Fischereihafen-Restaurant.

By the way: Dieses ist für uns fortan fußläufig erreichbar!

 

Essen

Das einziges Manko des Fischereihafen-Restaurants ist wohl, dass es bei direkter Kohldampf gesteuerter Anpeilung doch etwas weiter entfernt liegt als die Küche der Sushi-Wizards von Henssler&Henssler. Die sind aber wiederum umgeben von dutzenden weiteren Restaurants (vor allem Fischrestaurants), die sich entlang des Elbufers in westlicher Richtung bis nach Övelgönne, dem ehemaligen und etwas kitschigen Wohndomizil verrenteter Hamburger Kapitäne, nahezu Tür an Tür aneinanderreihen.

Nur gut, dass wir nicht immer die ganze Strecke in’s alte Holzhafengebiet an der Großen Elbstraße laufen müssen. Handelt es sich doch um gut einige hundert Meter Strecke und die wollen geistig erst einmal bewältigt werden. Denn direkt vor der Tür wetteifern die Dim-Sum Kings vom Man-Wah, einem der ersten Chinesischen Restaurants der Stadt mit Cuneo, dem ersten echten “Italiener” Hamburgs (Eröffnung 1905(!)).

Bismarkheringbrötchen
Yummy Bismarkheringbrötchen!
Photo: Dirk Ingo Franke

Und wenn uns das mal alles zu viel wird, dann gehen wir halt an der Elbe entlang ein paar Schritte nach Osten wo wir in einigen Minuten in das bekannte Portugiesen-Viertel eintauchen. Hier brummt immer der Bär und ein mediterranes Fischlokal reiht sich an an das andere. Eine große Schüssel Muscheln mit Weissbrot, hinterher ein Galão und Zack, schon fühlt man sich wie im Urlaub – ist ja auch ein bisschen Urlaub und so lässt sich doch wohl hoffentlich noch besser arbeiten!

Ernährungstechnisch sind die Aussichten also mehr als rosig. Hunderte Restaurants, und jedes Einzelne ist das Beste und buhlt um unser karges Mittagstisch-Geld mit allen Tricks, die die kleine Kreidetafel hergibt. Die Entscheidung wird einem also nicht leicht gemacht aber das ist uns gerade recht, denn die Ansammlung vorzüglicher Essgelegenheiten passt hervorragend zum kugelrunden Schönheitsideal Technik-begeisterter Menschen wie wir es sind und wie es nun einmal von der Gesellschaft erwartet wird. Was sollen wir da machen?

Aber, wo waren wir stehengeblieben!? Vermutlich direkt an einer der zahlreichen Wurst- oder Dönerbuden…

 

Elbe

… oder auf den St. Pauli Landungsbrücken, dem unbestrittenen Filetstück (jetzt reicht’s aber mit den Fressvergleichen!) des an Sehenswürdigkeiten nicht gerade armen Stadtteils.

Die Landungsbrücken sind das Angeber-Schaufenster Hamburgs. Hier kommen sie an, die Busse voll Touristen aus ganz Europa. Massen erstarren in Verzückung beim Anblick der dicken Pötte, die am Wochenende pickepacke voll die Hansestadt in Richtung alle sieben Weltmeere verlassen. Fischbrötchen werden tonnenweise verputzt und alle ballern sich die Knipse mit Bildern mittelgroßer Container- und Binnenschiffe voll, dass es nur so eine Freude ist.

 

Und dann erst die Tage an denen richtig was geht an den Landungsbrücken! Vornehmlich zum Hafengeburtstag stapeln sich Millionen von Besuchern überall entlang des Hafens und versuchen während der Ein- oder Auslaufparade einen Blick auf die unzähligen Segelschiffe, Feuerwehrboote und sonstigen Wasserfahrzeuge zu ergattern. Und wir wollen ja nicht immer drauf rumreiten – aber wer gleich noch mal hat ab heute eine unglaubliche Aussicht durch die bodentiefe Fensterfront seines kleinen aber nagelneuen Lieblingsbüros auf dieses fantastische Schifffahrtsspektakel?

 

Ganz genau.

 

Die - noch im Bau befindliche - Elbphilharmonie
Die – noch im Bau befindliche – Elbphilharmonie

Und zwar von der sensationell teueren Elbphilharmonie auf der linken Seite bis runter zum alten Kohlenschiffhafen ganz rechts. Lachen Sie nicht wenn wir Elbphilharmonie sagen! Es ist heutzutage keine Seltenheit mehr, dass man auf der, wie man hier in Hamburg sagt “Ewigen Baustelle” der Elbphilharmonie ab und zu sieht wie sich z.B. ein Kran dreht und dort also gearbeitet werden muss. Schon 2017 soll der überteuertste und hässlichste Bullshitbau der Neuzeit die beste und schönste Philharmonie der Welt fertig sein. Nur 8 Jahre später und 800 Millionen Euro teurer als geplant.

 

 

Hinterland

“Solange dürften sich die Aufbauer des Riesenrads auf dem Dom natürlich keine Zeit lassen” geht einem da durch den Sinn und kurz dreht man sich um und versucht durch eines unserer Fenster auf der Nordseite einen Blick auf den Millerntorplatz zu werfen. Denn hier findet diverse Male im Jahr der Hamburger Dom statt: ein Karussell-bewährtes Volksfest, welches seit 1337 in Hamburg gefeiert wird. Elite. Als Hamburg-Ansässiger ist es eine ständig diskutierte Frage ob der Dom wohl gerade ab- oder aufgebaut ist oder wird oder vielleicht gerade läuft oder zu hat oder was!?

Da er drei mal im Jahr für jeweils 4 Wochen statt findet, kann man da schon mal leicht durcheinander kommen. Genauso wie bei der Frage in welcher Tabelle der ruhmlose aber viel gemochte FC St. Pauli gerade spielt. Ein direkter Blick aus unserem Büro in’s Stadion bleibt den wenigen St. Pauli Fans in der Firma leider verwehrt, allen anderen aber Gott sei dank erspart. Nur ein kleines Stück des Geläufs ist sichtbar aber es reicht ja schon, dass einem im Sommer das Erholungsnickerchen in den nahegelegenem Park „Planten und Blomen“ durch das ständige “Tor! Ach nee doch nicht”-Gebrülle aus dem Millerntorstadion versaut wird.

 

Aber am Wochenende muss man ja auch nicht arbeiten und da wären wir wieder am Anfang aller Überlegungen, denn selbstverständlich soll, bei aller Liebe zu unserer neuen Nachbarschaft unser neues Büro in erster Linie eines bewirken: Wir wollen Ihnen mit noch mehr Spaß an unserer Arbeit noch besseren Service anbieten, neue Ideen entwickeln, neue gute Leute kennenlernen, mit ihnen zusammenarbeiten und Artfiles auf diese Weise insgesamt kommunikativer und besser machen!

 

Wir freuen uns darauf.